ab 2011

„Wer ist eigentlich der seltsame Kerl, der da jeden Abend an der Theke sitzt und irgendwas auf Papier kritzelt“, fragte ich Katja, meine Barchefin. „Keine Ahnung, der spricht nie was, trinkt immer Fritz-Kola und malt nur „, entgegnete sie. Ich beobachtete den Typen, der da in Adidas-Streifenjacke und mit Baseball-Kappe auf dem Kopf in Gedanken versunken über die Theke gebeugt war und einen spitzen Bleistift über einem Blatt Papier zucken ließ.
Das Licht in der Bar war ziemlich schummrig, zu dunkel um irgendwas genau zu erkennen.
Gäste quälten ihre Augen beim Lesen der Barkarte und verschafften sich Sehhilfe mit der Tischkerze.
Und der Typ saß da und malte. Unmöglich, dachte ich, der sieht doch nichts. Bestimmt so ein Spinner.
Nach einer Weile ging ich zu ihm hin, wollte es wissen. „Was kritzelst du da eigentlich?“, fragte ich ihn. „Ich kritzele nicht, ich male“, entgegnete er bestimmt, ohne dabei Aufzusehen
Oha, er malt, dachte ich. Aufgeblasen ist er auch noch.
„Zeig mal“, forderte ich ihn auf. Langsam drehte er seinen Kopf zu mir, schaute mir tief in die
Augen und drehte dann wortlos das A4-Blatt zu mir hin.
In der Dunkelheit konnte ich nur die Umrisse des Gesichts einer jungen Frau erkennen. Ich zog die Kerze von der Theke heran und gab damit Licht auf das Bild.
Es war unglaublich. Mit feinsten Strichen und Schattierungen gemalt, blickte ich auf ein fotorealistisches Abbild einer schönen Frau. „Das ist Coco Chanel“, sagte der Typ mit der Baseballkappe, „die male ich demnächst groß“.
„Hey, klasse Bild“, sagte ich, „hast du noch andere?“. Wortlos zog er sein iPhone aus der Adidas-Jacke, und zeigte mir seine Bilder im Miniaturformat.
„Schöne Bilder“, sagte ich nach einer Weile, und meinte das auch wirklich so, „die würde ich gerne mal original sehen“. „Wenn du willst, kann ich ja hier in deiner Bar mal eine Ausstellung
machen, dann siehst du die Bilder im richtigen Format“, kam es unter der Baseballkappe hervor und ich glaubte, ein kleines Lächeln erkennen zu können.
„Klar, kannst du hier eine Ausstellung machen, aber dann musst du vorher die Säulen anmalen“. „Was für Säulen?“, fragte er mich. „Die fünf Säulen hinten in der Lounge“, erklärte ich ihm, zog ihn am Ärmel seiner Adidas-Jacke und zeigte ihm die Säulen. „Da soll ich drauf malen?“, fragte er, „was denn?“. „Was du willst“.
„Ok, abgemacht, morgen Abend fange ich an, und im Oktober mache ich hier meine Ausstellung“, sagte er und grinste mich dabei breit an.

Und tatsächlich: Am nächsten Abend kam er mit einem einzigen Pinsel und einer Tube schwarzer Farbe pünktlich um 20:00 Uhr, als die kunstbar gerade aufmachte, und fing an, die erste Säule zu bemalen. Ohne Vorlage, ohne Schablone, ohne Lineal oder sonstigem Hilfmittel. Einfach uss dr Lameng, wie wir in Köln zu sagen pflegen. Aus der freien Hand heraus.
„Brauchst du noch was“, fragte ich ihn. „Ja, eine Fritz-Kola“, sagte er und malte weiter.
Ein paar Säulen später erfuhr ich dann auch seinen Namen.
*** weitere Infos: www.olivermaichle.com

 

Fotos by KaPe Schmidt